Schlaganfallversorgung neu gedacht: Wie Mobile Stroke Units Leben retten können
Schlaganfälle sind ein medizinischer Notfall, bei dem jede Minute zählt. Denn pro Minute gehen bei einem ischämischen Schlaganfall etwa 1,9 Millionen Nervenzellen unwiederbringlich verloren. Trotz moderner Therapien wie der intravenösen Thrombolyse und der mechanischen Thrombektomie kommt es bei vielen Betroffenen zu erheblichen Verzögerungen bis zum Behandlungsbeginn. An genau diesem Punkt setzt das Konzept der Mobilen Stroke Units (MSU) an – spezialisierte Rettungsfahrzeuge, die die Schlaganfallbehandlung direkt zum Patienten bringen.
Was ist eine Mobile Stroke Unit?
Eine Mobile Stroke Unit ist ein mit Computertomografie (CT), Labordiagnostik, telemedizinischer Ausrüstung und spezialisiertem Fachpersonal ausgestatteter Rettungswagen. Dieses „rollende Schlaganfallzentrum“ ermöglicht bereits am Einsatzort die neurologische Untersuchung, Bildgebung und – falls indiziert – den Beginn einer Thrombolyse. Ziel ist es, die wertvolle Zeit bis zur Therapie signifikant zu verkürzen und das funktionelle Outcome der Patienten zu verbessern.
Vorteile durch Zeitgewinn
Das Motto „Time is brain“ beschreibt eindrücklich, warum schnelle Entscheidungen lebenswichtig sind. Studien zeigen: Mit jeder 15-minütigen Verzögerung der Behandlung sinkt der Anteil der Patienten mit gutem funktionellem Ergebnis (mRS 0–1) signifikant. Die MSU ermöglicht häufig eine Behandlung innerhalb der „Goldenen Stunde“ – also innerhalb von 60 Minuten nach Symptombeginn.
Wissenschaftliche Evidenz
Die Effektivität von MSUs ist gut belegt:
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Die PHANTOM-S-Studie aus Berlin zeigte eine deutlich schnellere Therapieeinleitung und erhöhte Thrombolyseraten im Vergleich zur Standardversorgung.
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Die B_PROUD-Studie belegte bessere funktionelle Ergebnisse nach 3 Monaten.
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Eine Metaanalyse von 14 Studien (JAMA Neurology 2022) ergab u. a. eine 65 % höhere Wahrscheinlichkeit eines nahezu vollständigen funktionellen Erholens durch MSUs.
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Die BEST-MSU-Studie (NEJM 2021) zeigte, dass Patienten, die innerhalb der ersten 60 Minuten behandelt wurden, signifikant bessere Verläufe hatten.
Beitrag zur optimalen Triage
Neben der schnellen Behandlung bieten MSUs einen weiteren wichtigen Vorteil: gezielte Triage. Mithilfe prähospitaler Gefäßdiagnostik (z. B. CT-Angiografie) können Patienten mit einem Großgefäßverschluss frühzeitig identifiziert und direkt in ein Thrombektomie-fähiges Zentrum gebracht werden („Mothership“-Strategie). Dies reduziert Sekundärverlegungen, die mit Zeitverlust und Risiken verbunden sind.
Wirtschaftlichkeit und Umsetzung
Auch wenn MSUs hohe Investitions- und Betriebskosten verursachen, zeigen ökonomische Analysen aus Deutschland und den USA, dass die Versorgung kostenwirksam ist – gemessen in „Quality-adjusted Life Years“ (QALYs). Die Vermeidung von Langzeitbehinderung reduziert langfristig Pflege- und Behandlungskosten.
Laut einer Berliner Studie liegt der inkrementelle Kostenwert pro QALY unterhalb der in Europa akzeptierten Schwellenwerte. Besonders effizient zeigt sich der Einsatz in Ballungszentren mit hoher Bevölkerungsdichte und durch Einbindung telemedizinischer Konsile statt eines Neurologen vor Ort.
Herausforderungen und Innovationen
Die Verbreitung von MSUs ist bislang auf größere Städte und entwickelte Gesundheitssysteme beschränkt. Gründe sind:
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Personalknappheit
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Kostenproblematik
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fehlende flächendeckende Erstattung durch Krankenkassen
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begrenzte Genauigkeit bei der Schlaganfallerkennung durch Leitstellen
Hier könnten künftig KI-basierte Spracherkennung, Videotelefonie, automatisierte Triage-Algorithmen oder neue Bildgebungsverfahren wie mobile MRTs oder Mikrowellentechnologie Abhilfe schaffen.
Leitlinienempfehlung
Gemäß den Leitlinien der DGN und der AWMF (AWMF-Registernr. 030-046) gilt weiterhin: Patienten mit akutem Schlaganfall sollen schnellstmöglich in ein spezialisiertes Zentrum mit Stroke Unit gebracht werden. Die Mobile Stroke Unit kann dieses Ziel durch prähospitale Diagnostik und Therapie signifikant unterstützen und stellt somit eine evidenzbasierte Ergänzung der bestehenden Versorgung dar – insbesondere in urbanen Regionen oder strukturschwachen Gegenden mit langer Anfahrtszeit.
Fazit
Mobile Stroke Units sind eine zukunftsweisende Innovation in der prähospitalen Notfallversorgung von Schlaganfallpatienten. Sie ermöglichen eine frühere Behandlung, verbessern die Triage und können langfristig zu einer besseren Lebensqualität und geringeren gesellschaftlichen Kosten beitragen. Ihr flächendeckender Einsatz erfordert jedoch eine solide Infrastruktur, Anpassung der Finanzierungssysteme sowie technologische Weiterentwicklungen – doch das medizinische und ökonomische Potenzial ist beachtlich.
Literaturverzeichnis
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Hoyer C, Rink J, Szabo K. Mobile Stroke Units – die Zukunft der präklinischen Schlaganfallversorgung? Neurologie up2date 2025; 8(2): 137–152. doi:10.1055/a-2378-1630
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Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), AWMF-Leitlinie: Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, Registernummer: 030-046. Version 2021.
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Turc G et al. Comparison of mobile stroke unit with usual care for acute ischemic stroke management: a systematic review and meta-analysis. JAMA Neurol 2022; 79: 281–290.
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Ebinger M et al. Association between dispatch of mobile stroke units and functional outcomes among patients with acute ischemic stroke in Berlin. JAMA 2021; 325(5): 454–466.
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Grotta JC et al. Prospective, multicenter, controlled trial of mobile stroke units. N Engl J Med 2021; 385: 971–981.
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