Essenzieller Tremor erkennen und behandeln: Alles zu Symptomen, Ursachen und Therapie
Was ist ein essenzieller Tremor?
Der essenzielle Tremor (ET) ist eine der häufigsten Bewegungsstörungen des Erwachsenenalters. Er ist durch rhythmisches Zittern gekennzeichnet, das typischerweise bei gezielten Bewegungen (z. B. beim Schreiben, Trinken oder Halten eines Gegenstands) auftritt. Im Gegensatz zum Parkinson-Tremor, der häufig in Ruhe auftritt, ist der essenzielle Tremor vor allem ein Halte- und Aktionstremor.
Die Erkrankung beginnt meist schleichend und betrifft in den meisten Fällen die Hände und Arme beidseitig, wobei eine Seite oft stärker betroffen ist. Auch der Kopf, die Stimme und seltener Beine oder Rumpf können involviert sein. Obwohl der essenzielle Tremor mehrheitlich nicht lebensbedrohlich ist, kann er die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – insbesondere wenn alltägliche Tätigkeiten wie Essen oder Schreiben zur Herausforderung werden.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen des essenziellen Tremors sind bisher nicht vollständig geklärt. Es handelt sich vermutlich um eine neurodegenerative Erkrankung mit genetischer Veranlagung. Etwa 60 % der Betroffenen haben eine positive Familienanamnese, was auf eine autosomal-dominante Vererbung hindeutet.
Auch strukturelle und funktionelle Veränderungen im Bereich des Kleinhirns und des Netzwerkes Kleinhirn-Thalamus-Kortex werden diskutiert. Der Tremor kann durch Stress, Kälte, Müdigkeit oder Koffein verstärkt werden.
Diagnose: Wann spricht man von einem essenziellen Tremor?
Laut der DGN- und AWMF-Leitlinie (AWMF-Register-Nr. 030/130, Stand 2022) basiert die Diagnose vor allem auf:
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Klinischer Beobachtung des Tremors in Ruhe, bei Haltung und bei zielgerichteten Bewegungen
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Ausschluss anderer Ursachen, insbesondere Morbus Parkinson, Medikamentennebenwirkungen oder metabolische Störungen
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Neurologischer Untersuchung
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Optionaler Videoanalyse oder neurophysiologischer Diagnostik (z. B. EMG), vor allem bei unklaren Fällen
Eine Bildgebung (z. B. MRT) wird empfohlen, wenn atypische Symptome vorliegen oder eine sekundäre Ursache ausgeschlossen werden soll.
Therapie-Optionen – Was hilft wirklich?
Nicht jeder essenzielle Tremor muss behandelt werden. Eine Therapie ist dann indiziert, wenn die Beeinträchtigung im Alltag deutlich ist oder ein Leidensdruck besteht.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Behandlung basiert auf den Empfehlungen der DGN-Leitlinie und umfasst:
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Propranolol (nicht-selektiver Beta-Blocker): Mittel der ersten Wahl. Besonders wirksam bei Haltetremor der oberen Extremitäten. Kontraindikationen (z. B. Asthma, Bradykardie) sind zu beachten.
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Primidon (Antikonvulsivum): Ebenfalls Erstlinienmedikament, insbesondere wenn Propranolol nicht vertragen wird. Beginn mit niedriger Dosis wegen möglicher Nebenwirkungen (z. B. Müdigkeit, Schwindel).
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Alternativen bei unzureichender Wirkung oder Unverträglichkeit: Gabapentin, Topiramat, Clonazepam (Off-Label).
Nicht-medikamentöse Verfahren
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Alkohol kann den Tremor kurzfristig bessern, ist jedoch nicht therapeutisch einsetzbar.
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Physiotherapie und Ergotherapie können helfen, Alltagskompetenzen zu erhalten.
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In Einzelfällen: Anpassung von Hilfsmitteln (z. B. beschwerte Bestecke, Stifthalter).
Interventionelle Verfahren
Bei Therapie-refraktärem, stark beeinträchtigendem Tremor:
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Tiefe Hirnstimulation (THS), meist im Nucleus ventralis intermedius des Thalamus (VIM): bewährte und effektive Methode.
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MR-gesteuerter fokussierter Ultraschall (MRgFUS): nicht-invasives Verfahren, derzeit nur für bestimmte Patientengruppen verfügbar und nicht überall etabliert.
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Radiofrequenz-Ablation (RF): heute seltener angewendet.
Verlauf und Prognose
Der essenzielle Tremor ist vorwiegend langsam progredient. Viele Patient:innen kommen über Jahre gut ohne medikamentöse Behandlung aus. In schweren Fällen kann der Tremor jedoch stark beeinträchtigend werden.
Ein essenzieller Tremor erhöht nicht das Risiko für Parkinson, wenngleich eine gewisse Überlappung in der Symptomatik bestehen kann.
Fazit
Der essenzielle Tremor ist weitverbreitet und oft gut behandelbar. Wichtig ist eine sorgfältige neurologische Diagnostik, um andere Ursachen auszuschließen. Die Wahl der Therapie sollte individuell getroffen werden – abhängig vom Ausmaß des Tremors, dem Leidensdruck und Begleiterkrankungen.
Ein interdisziplinärer Ansatz, bestehend aus medizinischer Therapie, unterstützenden Maßnahmen und bei Bedarf interventionellen Verfahren, kann vielen Betroffenen zu mehr Lebensqualität verhelfen.
Literaturverzeichnis
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Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): Leitlinie „Essenzieller Tremor“ – AWMF-Register-Nr. 030/130, Stand 2022.
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-130.html -
Deuschl, G., Bain, P., Brin, M. (1998): Consensus statement of the Movement Disorder Society on Tremor. Mov Disord 13(Suppl 3):2–23.
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Louis, E.D. (2014): Essential Tremor. Lancet Neurol 13(9): 867–878.
doi:10.1016/S1474-4422(14)70100-9 -
Elble, R.J. (2016): What is essential tremor? Curr Neurol Neurosci Rep 16(6):54.
doi:10.1007/s11910-016-0654-1
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