Was ist eine Anosognosie?

Was ist eine Anosognosie?

Wenn Menschen krank sind, nehmen sie ihre Symptome in der Regel wahr – sei es Schmerz, Schwäche oder eine Veränderung im Denken. Doch was passiert, wenn jemand schwer erkrankt ist, dies aber selbst nicht erkennt? Genau das beschreibt der neurologische Fachbegriff Anosognosie.

In diesem Artikel erklären wir, was Anosognosie ist, wie sie entsteht, bei welchen Erkrankungen sie auftreten kann – und warum sie für Angehörige und Behandelnde so herausfordernd sein kann.


Definition: Was bedeutet Anosognosie?

Anosognosie (aus dem Griechischen: „a“ = nicht, „nosos“ = Krankheit, „gnosis“ = Wissen) bezeichnet das fehlende Bewusstsein für eine bestehende Erkrankung oder körperliche/kognitive Beeinträchtigung. Betroffene leugnen nicht absichtlich, krank zu sein – vielmehr können sie es neurologisch bedingt nicht erkennen.

Ein klassisches Beispiel: Eine Patientin hat nach einem Schlaganfall eine vollständige Lähmung der linken Körperhälfte. Dennoch ist sie überzeugt, sich normal bewegen zu können, und reagiert irritiert oder ungläubig, wenn man ihr das Gegenteil sagt.


Wie entsteht Anosognosie?

Anosognosie ist keine psychologische Verdrängung, sondern eine neurologische Störung der Selbstwahrnehmung. Die Ursache sind meist Schädigungen bestimmter Hirnregionen, insbesondere im:

  • Rechten Parietallappen (Scheitellappen) – hier laufen viele Prozesse der Körperwahrnehmung zusammen.

  • Frontallappen – zuständig für Einsicht, Planung, Problemerkennung und Urteilsvermögen.

  • Verbindungen zwischen Wahrnehmung und Bewusstsein – gestört, z. B. durch Läsionen oder Funktionsausfälle.

Durch diese Hirnschäden fehlt das Feedback, dass etwas nicht stimmt. Der betroffene Mensch fühlt sich gesund, obwohl objektiv eine klare Einschränkung vorliegt.


Bei welchen Erkrankungen tritt Anosognosie auf?

Anosognosie kann in verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern auftreten:

1. Schlaganfall

  • Besonders häufig bei rechtsseitigen Schlaganfällen mit einer sogenannten Neglect-Symptomatik.

  • Betroffene ignorieren dabei die linke Körperhälfte – und bemerken nicht, dass sie gelähmt ist.

2. Demenz (z. B. Alzheimer-Krankheit)

  • Viele Menschen mit Demenz erkennen ihre kognitiven Defizite nicht (z. B. Gedächtnisprobleme, Orientierungsverlust).

  • Dies kann zu einem verzögerten Arztbesuch und fehlender Krankheitseinsicht führen.

3. Psychiatrische Erkrankungen

  • Bei Schizophrenie oder bipolaren Störungen fehlt oft die Krankheitseinsicht – ein Phänomen, das mit Anosognosie verwandt, aber psychiatrisch diskutiert ist.

4. Morbus Huntington und andere neurodegenerative Erkrankungen

  • Auch hier fehlt häufig die Einsicht in die motorischen oder kognitiven Defizite.


Warum ist Anosognosie so problematisch?

1. Therapieverweigerung

Wenn sich jemand gesund fühlt, sieht er oder sie keinen Grund für Behandlung oder Medikamente.

2. Gefahr für sich und andere

Ein Mensch mit Lähmung, der nicht erkennt, dass er nicht gehen kann, stürzt leicht. Oder jemand mit Demenz verlässt die Wohnung, obwohl er nicht mehr orientiert ist.

3. Belastung für Angehörige

Das Umfeld erlebt die Betroffenen oft als „uneinsichtig“ oder „stur“ – was emotional belastend sein kann, besonders wenn keine böse Absicht dahintersteckt.


Was kann man tun?

Ein Patentrezept gibt es nicht – aber einige Strategien können helfen:

  • Verständnis und Aufklärung: Angehörige sollten wissen, dass Anosognosie keine Verweigerung, sondern eine Hirnfunktionsstörung ist.

  • Sicherheitsmaßnahmen: Sturzgefahr, Medikamenteneinnahme oder alleinige Wege sollten gut abgesichert sein.

  • Therapie und Rehabilitation: Ziel ist es oft nicht nur die körperlichen Funktionen, sondern auch das Selbstwahrnehmungsvermögen zu fördern.

  • Einbezug von Fachpersonal: Ergotherapeut:innen, Neurolog:innen, Psycholog:innen und Pflegekräfte können individuelle Strategien erarbeiten.


Fazit

Anosognosie ist eine oft übersehene, aber zentrale Herausforderung in der neurologischen und geriatrischen Medizin. Sie betrifft nicht nur den Patienten selbst, sondern auch das gesamte soziale Umfeld – medizinisch, psychologisch und ethisch. Wer Anosognosie versteht, kann mit mehr Geduld, Sicherheit und gezielten Maßnahmen reagieren und dazu beitragen, dass betroffene Menschen bestmöglich unterstützt werden.


Tipp: Auf neurowissen.com finden Sie weitere Artikel rund um das Thema Gehirn, neurologische Erkrankungen und kognitive Gesundheit. Bleiben Sie informiert – für sich selbst oder Ihre Angehörigen.

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