Bedeutung des HAS-BLED-Scores in der Neurologie
Einleitung
In der neurologischen Praxis – insbesondere im Rahmen der Schlaganfallprävention bei Patienten mit Vorhofflimmern – gewinnt die strukturierte Einschätzung des Blutungsrisikos zunehmend an Bedeutung. Der HAS-BLED-Score ist dabei ein etabliertes Instrument, das unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) sowie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) empfohlen wird. In diesem Artikel beleuchten wir die Relevanz und Anwendung des HAS-BLED-Scores in der neurologischen Versorgung, speziell im Zusammenhang mit der oralen Antikoagulation (OAK).
Was ist der HAS-BLED-Score?
Der HAS-BLED-Score ist ein klinisches Werkzeug zur Abschätzung des Risikos für schwere Blutungskomplikationen bei Patienten mit Vorhofflimmern, die eine orale Antikoagulation erhalten. Der Score wurde 2010 entwickelt, um behandelnden Ärzten eine rasche Risikobewertung an die Hand zu geben.
Die einzelnen Komponenten des Scores sind:
Faktor | Punktzahl |
---|---|
Hypertension (>160 mmHg systolisch) | 1 |
Abnormal renal/liver function (je 1 Punkt) | 1 oder 2 |
Stroke (frühere zerebrale Ischämie oder Blutung) | 1 |
Bleeding (frühere Blutung oder Prädisposition) | 1 |
Labile INR-Werte (bei Vitamin-K-Antagonisten) | 1 |
Elderly (Alter > 65 Jahre) | 1 |
Drugs or alcohol (je 1 Punkt bei Medikation wie NSAR oder Alkoholabusus) | 1 oder 2 |
Maximaler Score: 9 Punkte. Ein Score ≥3 signalisiert ein erhöhtes Blutungsrisiko.
Relevanz in der Neurologie
1. Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern
Vorhofflimmern ist ein zentraler Risikofaktor für ischämische Schlaganfälle. Die DGN-Leitlinie „Sekundärprävention ischämischer Schlaganfälle“ (AWMF-Registernummer 030/133, Stand 2020) empfiehlt bei Vorhofflimmern eine Risiko-adaptierte orale Antikoagulation – typischerweise mit DOAKs. Zur Beurteilung des Schlaganfallrisikos wird der CHA₂DS₂-VASc-Score herangezogen, zur Beurteilung des Blutungsrisikos der HAS-BLED-Score.
Dabei ist wichtig: Ein hoher HAS-BLED-Score ist keine Kontraindikation für Antikoagulation, sondern ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Überwachung und ggf. Modifikation von Risikofaktoren.
2. Blutungskomplikationen früh erkennen
Gerade bei neurologisch vorerkrankten Patienten (z. B. mit zerebraler Mikroangiopathie oder früheren intrazerebralen Blutungen) ist das Risiko einer ICB unter Antikoagulation relevant. Der HAS-BLED-Score hilft hier, potenzielle modifizierbare Risikofaktoren wie unkontrollierten Blutdruck oder problematische Begleitmedikation zu identifizieren und frühzeitig gegenzusteuern.
3. Entscheidungsunterstützung im klinischen Alltag
Der Score unterstützt bei interdisziplinären Fallbesprechungen (z. B. mit Kardiologie und Geriatrie), da er eine objektivierbare Risikobewertung bietet. Zudem ist er hilfreich bei der Patientenaufklärung und geteilten Entscheidungsfindung.
Praktische Anwendung: Ein Fallbeispiel
Ein 78-jähriger Patient mit Vorhofflimmern, stattgehabtem ischämischen Schlaganfall und Hypertonie soll auf OAK eingestellt werden. Der HAS-BLED-Score ergibt 3 Punkte (Hypertonie, Alter, frühere Blutung). Die Entscheidung lautet dennoch: Antikoagulation mit einem DOAK, aber unter besonderer Beachtung von Blutdruckkontrolle, Alkoholkarenz und Vermeidung zusätzlicher blutungsfördernder Medikamente.
Grenzen des HAS-BLED-Scores
Trotz seiner praktischen Relevanz hat der HAS-BLED-Score auch Schwächen:
-
Er berücksichtigt nicht direkt die Art des Antikoagulans (DOAK vs. VKA).
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Die Vorhersagekraft ist moderat, besonders bei intrazerebralen Blutungen.
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Für Patienten mit bestimmten neurologischen Komorbiditäten (z. B. Cerebralr Amyloid-Angiopathie (CAA) oder Epilepsie) gibt es keine spezifische Gewichtung.
Die Leitlinien fordern deshalb eine individuelle Risikoabwägung, wobei der Score Teil eines Gesamtbildes sein sollte – nicht das alleinige Entscheidungskriterium.
Fazit
Der HAS-BLED-Score ist ein hilfreiches Tool zur strukturierten Blutungsrisikobewertung – auch und gerade in der Neurologie. In Kombination mit anderen klinischen Parametern und Scores wie dem CHA₂DS₂-VASc trägt er zu einer balancierten Risiko-Nutzen-Abwägung bei. Entscheidend ist dabei, modifizierbare Risikofaktoren zu erkennen und gezielt zu adressieren – denn eine gut kontrollierte Antikoagulation rettet Leben, auch bei erhöhtem Blutungsrisiko.
Literaturverzeichnis
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Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Leitlinie: Sekundärprävention ischämischer Schlaganfall und TIA, AWMF-Registernummer 030/133, Version 2020.
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Kirchhof, P., et al. (2016). ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation. European Heart Journal, 37(38), 2893–2962.
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Pisters, R., et al. (2010). A novel user-friendly score (HAS-BLED) to assess 1-year risk of major bleeding in patients with atrial fibrillation. Chest, 138(5), 1093–1100.
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Diener, H.-C., et al. (2012). Orale Antikoagulation in der Schlaganfallprävention. Der Nervenarzt, 83(6), 703–713.
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