Die Bedeutung des CHA₂DS₂-VASc-Scores in der Neurologie

Die Bedeutung des CHA₂DS₂-VASc-Scores in der Neurologie

Ein praxisrelevantes Instrument zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern

Einleitung

In der kardiologischen Versorgung hat sich der CHA₂DS₂-VASc-Score seit Jahren als wichtiges Instrument zur Risikostratifizierung für thromboembolische Ereignisse, insbesondere ischämische Schlaganfälle, etabliert. Auch in der Neurologie spielt dieser Score zunehmend eine bedeutende Rolle – insbesondere im Rahmen der sekundärpräventiven Maßnahmen nach einem kryptogenen oder kardioembolischen Schlaganfall. Dieser Beitrag beleuchtet die neurologische Relevanz des CHA₂DS₂-VASc-Scores unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien der AWMF und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).


Was ist der CHA₂DS₂-VASc-Score?

Der CHA₂DS₂-VASc-Score ist ein klinisches Scoring-System, das zur Abschätzung des Schlaganfallrisikos bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern dient. Es ist eine Weiterentwicklung des CHA₂DS-Scores und berücksichtigt zusätzliche Risikofaktoren wie vaskuläre Vorerkrankungen und das weibliche Geschlecht.

Score-Zusammensetzung:

Risikofaktor Punkte
C: Congestive heart failure 1
H: Hypertension 1
A₂: Age ≥75 Jahre 2
D: Diabetes mellitus 1
S₂: Stroke/TIA/Thromboembolism 2
V: Vascular disease 1
A: Age 65–74 Jahre 1
Sc: Sex category (female) 1

Maximalpunktzahl: 9


Relevanz in der Neurologie

1. Sekundärprävention nach Schlaganfall

Laut der DGN-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA)” (AWMF-Registernummer 030-133) ist die Abklärung von Vorhofflimmern bei Patienten mit ischämischem Schlaganfall essenziell. Der CHA₂DS₂-VASc-Score dient hierbei als wichtiger Prädiktor für das individuelle Schlaganfallrisiko bei bekanntem oder neu entdecktem Vorhofflimmern.

Empfehlung: Bei einem Score ≥2 bei Männern oder ≥3 bei Frauen wird laut Leitlinie eine orale Antikoagulation empfohlen – bevorzugt mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAKs).

2. Indikation zur Langzeit-EKG-Überwachung

Gerade bei sogenannten kryptogenen Schlaganfällen (keine klare Ursache) sollte das mögliche Vorliegen von paroxysmalem Vorhofflimmern in Erwägung gezogen werden. Ein hoher CHA₂DS₂-VASc-Score kann dabei ein Hinweis auf eine kardioembolische Genese sein und somit die Indikation zur intensivierten Rhythmusdiagnostik (z. B. Event-Recorder, Implantable Loop Recorder) stärken.

3. Abgrenzung anderer Schlaganfallursachen

Ein hoher Score stützt die Annahme eines kardioembolischen Mechanismus und kann damit bei der ätiologischen Klassifikation nach TOAST-Kriterien hilfreich sein – insbesondere zur Abgrenzung gegenüber atherothrombotischen oder lakunären Infarkten.


Klinische Konsequenzen für die neurologische Praxis

Scorewert Empfehlung laut Leitlinie Neurologische Bedeutung
0 (m) / 1 (w) Keine Antikoagulation empfohlen Beobachtung, ggf. Thrombozytenaggregationshemmung
≥1 (m) / ≥2 (w) Erwägung einer Antikoagulation Abwägung mit Blutungsrisiko, insbesondere bei älteren Patienten
≥2 (m) / ≥3 (w) Antikoagulation empfohlen DOAKs sind Mittel der Wahl

Fazit

Der CHA₂DS₂-VASc-Score ist nicht nur ein kardiologisches Werkzeug, sondern besitzt eine hohe Relevanz für die neurologische Schlaganfallversorgung. Insbesondere in der Sekundärprävention und bei der Abklärung kryptogener Insulte kann der Score helfen, das individuelle Risiko besser einzuschätzen und therapeutische Entscheidungen – insbesondere hinsichtlich der Einleitung einer Antikoagulation – evidenzbasiert zu treffen.


Literaturverzeichnis

  1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA)“ (AWMF-Registernummer 030-133), Stand: 2021.
    https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-133.html

  2. Kirchhof, P. et al. (2016): 2016 ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation, Eur Heart J 37(38): 2893–2962.
    DOI: 10.1093/eurheartj/ehw210

  3. Lip, G.Y.H. et al. (2010): Refining clinical risk stratification for predicting stroke and thromboembolism in atrial fibrillation using a novel risk factor-based approach: The Euro Heart Survey on Atrial Fibrillation, Chest. 137(2): 263–272.
    DOI: 10.1378/chest.09-1584

  4. Diener, H.-C. et al. (2014): Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfälle, Nervenarzt 85, 1467–1478.
    DOI: 10.1007/s00115-014-4206-6

 


 

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