Myasthenia gravis – Wenn das Immunsystem die Muskelkraft schwächt
Myasthenia gravis (MG) ist eine seltene, aber gut behandelbare Autoimmunerkrankung des Nervensystems. Charakteristisch ist eine belastungsabhängige Muskelschwäche, die sich im Tagesverlauf verstärken kann. Dank moderner Diagnostik und individueller Therapiekonzepte auf Basis der aktuellen medizinischen Leitlinien können viele Betroffene heute ein nahezu normales Leben führen.
Was ist Myasthenia gravis?
Myasthenia gravis ist eine chronisch-autoimmune Erkrankung der neuromuskulären Signalübertragung. Das Immunsystem bildet fälschlicherweise Autoantikörper, die sich gegen Acetylcholin-Rezeptoren (AChR) oder andere Strukturen an der motorischen Endplatte richten – z. B. gegen Muskel-spezifische Kinase (MuSK) oder LRP4. Dadurch wird die Reizübertragung vom Nerv auf den Muskel gestört, was zu einer ausgeprägten Muskelschwäche führt.
Symptome: Wenn die Kraft nachlässt
Typisch ist eine fluktuierende Schwäche der quer gestreiften Muskulatur, oft mit folgenden Beschwerden:
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Ptosis (hängendes Augenlid) und Doppelbilder (okuläre Form)
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Sprech-, Kau- und Schluckstörungen
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Armschwäche, Beinmuskelschwäche
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Atemnot, bei schwerem Verlauf (myasthene Krise)
Die Beschwerden verschlechtern sich typischerweise im Tagesverlauf oder bei Belastung und verbessern sich nach Ruhe.
Ursachen und Risikofaktoren
In rund 80–85 % der Fälle finden sich Autoantikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR). Weitere Antikörper richten sich gegen MuSK oder LRP4. Die genaue Ursache ist unklar, aber genetische Prädispositionen, Thymus-Veränderungen (z. B. Thymome oder Thymus-Hyperplasie) und Umweltfaktoren scheinen eine Rolle zu spielen.
Diagnostik nach Leitlinie
Laut DGN- und AWMF-Leitlinien umfasst die Diagnostik:
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Anamnese und neurologischer Befund
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Nachweis von Autoantikörpern im Serum (v. a. AChR-, MuSK-, LRP4-Antikörper)
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Neurophysiologische Tests: z. B. repetitive Nervenstimulation (RNS), single-fiber EMG
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Bildgebung des Mediastinums (CT oder MRT) zur Erfassung eines Thymoms
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Therapeutischer Test: z. B. Edrophonium-Test oder kurzfristige Besserung durch Pyridostigmin
Therapie: Individuell, leitliniengerecht und wirkungsvoll
Die Behandlung basiert auf einem stufenweisen, individualisierten Konzept, wie es die DGN-Leitlinie empfiehlt:
1. Symptomatische Therapie
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Acetylcholinesterase-Hemmer, z. B. Pyridostigmin – erster Behandlungsansatz
2. Immunsuppressive Therapie
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Glukokortikoide (Prednisolon)
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Langfristige Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil)
3. Krisenintervention
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Bei einer myasthenen Krise mit Ateminsuffizienz: Plasmapherese oder intravenöse Immunglobuline (IVIG)
4. Thymektomie
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Bei einem Thymom immer indiziert
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Bei AChR-positiver generalisierter MG auch ohne ein Thymom zu erwägen (v. a. bei jüngeren Patient:innen)
5. Neue Therapieoptionen
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Biologika wie Eculizumab (C5-Komplementinhibition) oder Ravulizumab bei therapierefraktärer MG
Alltag mit Myasthenia gravis
Viele Patient:innen können mit adäquater Therapie ein aktives Leben führen. Eine gute ärztliche Betreuung, regelmäßige Verlaufskontrollen und eine Aufklärung über mögliche Triggerfaktoren (Infekte, bestimmte Medikamente, Stress) sind entscheidend.
Wichtig: Bestimmte Medikamente – wie Magnesium, einige Antibiotika, Betablocker – können die Symptome verschlechtern und sollten vermieden werden.
Fazit
Myasthenia gravis ist heute gut behandelbar. Durch eine frühe Diagnose, individuelle Therapie und konsequente Verlaufskontrollen lässt sich die Lebensqualität deutlich verbessern. Die aktuellen Leitlinien der DGN und AWMF geben dafür klare und praxisnahe Empfehlungen.
Literaturverzeichnis
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Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Leitlinie: Myasthenia gravis und andere myasthene Syndrome. AWMF-Register-Nr. 030/087. Version 2020.
Verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-087.html -
Gilhus, N. E., et al. (2019). Myasthenia gravis. Nature Reviews Disease Primers, 5, 30.
DOI: 10.1038/s41572-019-0084-8 -
Sanders, D. B., Wolfe, G. I., et al. (2016). International consensus guidance for management of myasthenia gravis. Neurology, 87(4), 419–425.
DOI: 10.1212/WNL.0000000000002790
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