Bei welchen Erkrankungen tritt häufig ein Fatigue-Syndrom auf?
Fatigue – Wenn die Erschöpfung krankhaft wird
Fast jeder kennt das Gefühl, müde oder erschöpft zu sein. Doch wenn selbst ausreichend Schlaf und Ruhepausen nicht mehr helfen, kann es sich um ein sogenanntes Fatigue-Syndrom handeln. Diese anhaltende, tiefe Erschöpfung ist mehr als nur Müdigkeit – sie ist ein ernst zu nehmendes Symptom, das die Lebensqualität massiv beeinträchtigen kann. Fatigue tritt häufig als Begleiterscheinung verschiedenster Erkrankungen auf. In diesem Beitrag erfahren Sie, bei welchen Krankheiten das Fatigue-Syndrom besonders häufig vorkommt und welche neurologischen und immunologischen Zusammenhänge dahinterstecken.
Was ist Fatigue?
Das Wort „Fatigue“ stammt aus dem Französischen und bedeutet „Müdigkeit“ oder „Erschöpfung“. Medizinisch beschreibt der Begriff eine anhaltende, krankhafte Erschöpfung, die nicht im Verhältnis zur vorangegangenen Aktivität steht, durch Ruhe nicht ausreichend besser wird und häufig mit Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit, kognitiver Verlangsamung oder Schlafstörungen einhergeht. Fatigue kann körperlich, mental oder beides sein – und ist ein typisches Symptom bei einer Reihe chronischer Erkrankungen.
Bei welchen Erkrankungen tritt Fatigue besonders häufig auf?
1. Multiple Sklerose (MS)
Fatigue zählt zu den häufigsten und belastendsten Symptomen der Multiplen Sklerose – unabhängig vom Grad der körperlichen Behinderung. Die Ursachen sind multifaktoriell: Entzündungen im zentralen Nervensystem, neurodegenerative Prozesse, Störungen der Signalübertragung und eine gestörte Schlafarchitektur tragen zur Erschöpfung bei.
2. Morbus Parkinson
Auch Parkinson-Patienten leiden häufig unter Fatigue. Neben den motorischen Symptomen wie Tremor und Rigor wirkt sich die neurodegenerative Veränderung im dopaminergen System auch auf Antrieb und Energie aus. Die Fatigue bei Parkinson ist oft therapieresistent und schwer zu behandeln.
3. Krebs und Krebstherapien
Onkologische Patienten – sowohl während als auch nach der Behandlung – berichten in vielen Fällen über Fatigue. Die sogenannte „Cancer-related Fatigue“ (CRF) ist ein komplexes Zusammenspiel aus Entzündungsprozessen, Stoffwechselveränderungen, Anämie, Schlafstörungen und psychischer Belastung. Sie kann noch Jahre nach abgeschlossener Therapie anhalten.
4. Chronisch-entzündliche Erkrankungen (z. B. Rheuma, Lupus, Morbus Crohn)
Autoimmunerkrankungen gehen häufig mit systemischen Entzündungsprozessen einher, die das zentrale Nervensystem beeinflussen. Fatigue ist hier oft ein Früh- oder Dauerzeichen der Erkrankung – unabhängig von der sichtbaren Krankheitsaktivität.
5. Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS/ME)
Beim chronischen Fatigue-Syndrom (auch: Myalgische Enzephalomyelitis, ME/CFS) ist die Fatigue selbst die Hauptsymptomatik. Typisch ist eine sogenannte „post-exertional malaise“ (PEM) – eine deutliche Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder mentaler Belastung. Die Ursachen von ME/CFS sind bisher nicht abschließend geklärt, aber immunologische Dysfunktionen, Infektionserkrankungen (z. B. EBV oder SARS-CoV-2) und gestörte Energieproduktion im Zellstoffwechsel stehen im Verdacht.
6. Long COVID / Post-COVID-Syndrom
Viele Menschen, die eine COVID-19-Erkrankung überstanden haben, leiden über Wochen oder Monate an anhaltender Fatigue. Dieses Erschöpfungssyndrom ist eine der häufigsten Beschwerden im Rahmen von Long COVID. Auch hier wird eine autoimmunologisch bedingte Störung des zentralen Nervensystems sowie eine gestörte Sauerstoffversorgung und Mitochondrien-Funktion diskutiert.
7. Depression und andere psychische Erkrankungen
Depressive Erkrankungen gehen in vielen Fällen mit starker geistiger und körperlicher Erschöpfung einher. Fatigue ist hier jedoch schwer abzugrenzen von klassischen depressiven Symptomen wie Antriebslosigkeit oder Interessenverlust. Auch Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen können mit Fatigue verbunden sein.
8. Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, chronische Infekte
Chronische Erkrankungen innerer Organe wie Herz oder Niere können durch verminderte Sauerstoffversorgung, Stoffwechselentgleisungen oder medikamentöse Nebenwirkungen zu einer ausgeprägten Fatigue führen.
Was kann man gegen Fatigue tun?
Die Behandlung der Fatigue ist oft herausfordernd und richtet sich in erster Linie nach der zugrunde liegenden Erkrankung. Dennoch gibt es einige unterstützende Maßnahmen:
-
Pacing: Energiehaushalt bewusst einteilen, Überanstrengung vermeiden
-
Bewegung: Sanftes, regelmäßiges körperliches Training kann helfen – aber nur, wenn es individuell angepasst ist
-
Schlafoptimierung: Schlafhygiene verbessern und Störungen behandeln
-
Psychologische Unterstützung: Umgang mit Fatigue lernen, depressiven Verstimmungen vorbeugen
-
Ernährung und Lebensstil: Entzündungshemmende Ernährung, ausreichend Flüssigkeit, regelmäßige Tagesstruktur
-
Medikamentöse Ansätze: In bestimmten Fällen können Medikamente wie Amantadin oder Modafinil zum Einsatz kommen – dies sollte jedoch individuell ärztlich geprüft werden.
Ergänzender Selbsttest: Leide ich unter einem Fatigue-Syndrom?
(Hinweis: Dieser Selbsttest ersetzt keine ärztliche Diagnose, kann aber als erste Einschätzung dienen.)
Anleitung:
Beantworten Sie die folgenden Aussagen mit „trifft zu“, „trifft teilweise zu“ oder „trifft nicht zu“. Am Ende finden Sie eine einfache Auswertung.
🧠 Selbsttest: Erschöpfung oder Fatigue?
-
Ich fühle mich häufig körperlich erschöpft – auch ohne besondere Anstrengung.
-
Mein Energielevel ist schon morgens nach dem Aufstehen ungewöhnlich niedrig.
-
Selbst nach ausreichend Schlaf fühle ich mich nicht erholt.
-
Alltägliche Aufgaben wie Einkaufen, Duschen oder ein Gespräch führen kosten mich ungewöhnlich viel Kraft.
-
Ich brauche deutlich mehr Ruhepausen als früher.
-
Meine Konzentration und geistige Leistungsfähigkeit sind deutlich vermindert.
-
Ich habe das Gefühl, mein Gehirn sei „wie im Nebel“.
-
Sport oder körperliche Aktivität verschlechtern meinen Zustand merklich.
-
Ich muss Aktivitäten gezielt planen, weil ich meine Energie begrenzt einteilen muss („Pacing“).
-
Mein Zustand hat sich über Wochen oder Monate nicht deutlich gebessert.
-
Ich fühle mich häufig überfordert, auch bei kleineren Anforderungen.
-
Ich habe bereits eine chronische Erkrankung (z. B. MS, Long COVID, Autoimmunerkrankung, Depression o. Ä.).
🧾 Auswertung
Zählen Sie die Anzahl der Antworten, bei denen Sie „trifft zu“ angekreuzt haben:
-
0–3x trifft zu:
Ihre Symptome sprechen derzeit eher gegen ein Fatigue-Syndrom. Sollten Sie sich dennoch regelmäßig erschöpft fühlen, lohnt es sich, andere Ursachen wie Schlafstörungen, Stress oder Eisenmangel abzuklären. -
4–7x trifft zu:
Es bestehen erste Hinweise auf eine krankhafte Erschöpfung. Beobachten Sie Ihre Symptome weiter und sprechen Sie bei anhaltender Belastung mit Ihrer Hausärztin/Ihrem Hausarzt. -
8 oder mehr trifft zu:
Ihre Angaben deuten stark auf ein Fatigue-Syndrom hin – insbesondere, wenn Sie zusätzlich an einer chronischen Erkrankung leiden. Eine neurologische oder internistische Abklärung ist dringend zu empfehlen.
Was tun bei Verdacht auf Fatigue?
Wenn Sie sich in vielen Aussagen wiedererkennen, sollten Sie Ihre Symptome ernst nehmen. Dokumentieren Sie Ihren Alltag, ggf. mit einem Energie-Tagebuch, und suchen Sie ärztlichen Rat. Besonders bei bestehender Vorerkrankung wie MS, Long COVID oder rheumatischen Erkrankungen ist eine gezielte Behandlung der Fatigue möglich und sinnvoll.
Fazit
Fatigue ist ein vielschichtiges, oft missverstandenes Symptom, das bei zahlreichen neurologischen, immunologischen und chronischen Erkrankungen auftreten kann. Es verdient Aufmerksamkeit, eine sorgfältige Diagnose und individuelle therapeutische Strategien. Wer unter Fatigue leidet, sollte ernst genommen werden – denn es geht nicht „nur um Müdigkeit“, sondern um ein echtes, krankheitswertiges Symptom, das den Alltag massiv beeinträchtigen kann.
Mehr zum Thema erfahren?
Auf neurowissen.com bieten wir vertiefende Online-Kurse und Informationsmaterialien zu neurologischen Erkrankungen, Fatigue-Syndromen und praxisnahen Strategien zur Bewältigung chronischer Erschöpfung.
Bleiben Sie informiert – und bleiben Sie gesund