Die Krankheit, die Celine Dion die Bühne nahm – Das Stiff-Person-Syndrom

Die Krankheit, die Céline Dion die Bühne nahm – Das Stiff-Person-Syndrom


Wenn selbst eine berühmte Sängerin plötzlich starr wird

Im Dezember 2022 gab Céline Dion bekannt, dass sie am Stiff‑Person‑Syndrom (SPS) erkrankt sei und ihre für Februar 2023 geplante Europa-Tour absagen müsse. Die Nachricht dieser seltenen neurologischen Autoimmunerkrankung erregte breite Aufmerksamkeit. Doch was genau verbirgt sich hinter SPS – und wie läuft Diagnose sowie Behandlung nach aktuellen DGN‑ und AWMF‑Leitlinien ab?


Was ist das Stiff‑Person‑Syndrom?

Das Stiff‑Person‑Syndrom (auch Stiff‑Man‑Syndrom, SMS oder SPS) ist eine seltene zentrale Autoimmunerkrankung, die durch schwankende Muskelsteifheit und schmerzhafte, Stimulus-getriggerte Spasmen gekennzeichnet ist.

Hauptsymptome:

  • Fluktuierende Rigidität vorwiegend im Rumpf und in den proximalen Extremitäten

  • Einschießende Spasmen, oft myoklonisch, getriggert durch Geräusche, Berührung oder Emotionen

  • Gesteigerte Stimulus‑Sensitivität – neben lauten Geräuschen können auch Licht, Kälte oder Berührung Anfälle auslösen

SPS zählt zum Spektrum zusammen mit Stiff‑Limb‑Syndrom (fokale Form) und PERM („progressive Encephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien“)


Wer ist betroffen und wie verläuft die Erkrankung?

  • Betroffene: Fast zwei Drittel sind Frauen, Erkrankungsalter meist zwischen 30 und 60 Jahren

  • Verlauf: Chronisch progredient–monatelang steigende Symptome, oft danach stabile Phasen über Jahre. Schübe, insbesondere bei PERM, möglich

  • Begleiterscheinungen: Angststörungen (z. B. Pseudo‑Agoraphobie), vegetative Symptome wie Schwitzen oder Tachykardie, Skoliose bzw. Hyperlordose durch Muskelverkrampfungen


Leitlinien zur Diagnose (DGN & AWMF)

Klinische Kriterien

  • Muskeltonuserhöhung und tonische Spasmen, ausgelöst durch Reize oder Emotionalität

  • Startle‑Reaktionen und Agoraphobie-ähnliche Angstattacken sind typische Begleitphänomene

Elektromyografie (EMG)

  • Zeigt persistierende Aktivität motorischer Einheiten beim Entspannen und typische Reflexspasmen nach Reiz

Antikörper-Diagnostik

  • Serum- und Liquor-Untersuchung auf GAD-Antikörper (bei circa 70 % positiv), GlyR, Amphiphysin (v. a. paraneoplastisch), DPPX, GABA_A etc.

  • Liquor liefert höhere Sensitivität, insbesondere bei intrathekaler Produktion

Bildgebung und Abklärung

  • MRT (Gehirn und Rückenmark) zur Ausschlussdiagnose.

  • Screening auf Malignome bei Krankheitsdauer < 5 Jahre oder bei paraneoplastischen Formen


Therapieleitlinien

Symptomatische Therapie

  • Benzodiazepine (Diazepam, Clonazepam): Dosierung von wenigen bis zu 50 mg/d zur Muskelentspannung

  • Baclofen, Tizanidin und Antikonvulsiva wie Pregabalin oder Gabapentin als ergänzende Optionen

Physiotherapie und psychologische Begleitung

  • Physiotherapie: hilfreich, aber Reizmaßnahmen vermeiden.

  • Verhaltenstherapie: vor allem zur Bewältigung von Angst und Phobien nützlich

Immunmodulierende Therapie

  • i.v.-Immunglobuline (1 g/kg an zwei Tagen im Monat): Wirksamkeit wissenschaftlich belegt

  • Kortikosteroide (z. B. Methylprednisolon) mit höher dosierter Initialbehandlung und langfristiger Therapie und  Steroid-sparende Agenzien

  • Rituximab, Plasmapherese oder Immunadsorption bei refraktären Fällen

Notfallmanagement

  • Spasmodic Storm („spasmodischer Sturm“) und intrathekales Baclofen-Pumpen‑Therapie: Intensivmedizinisch, mit kontinuierlicher Benzodiazepin- oder Propofol‑Infusion


Integration der Leitlinien der DGN & AWMF

  • DGN‑S1‑Leitlinie (2017, gültig bis Juli 2022) betont interdisziplinäre Diagnostik, serologische und Liquor‑Antikörper‑Untersuchung und Malignom-Ausschluss bei früher Erkrankungsdauer

  • AWMF (Version 5.0, Juli 2022) bestätigt diese Parameter als evidenzbasiert und standardisiert für Diagnostik und Therapie


Fazit

SPS ist eine seltene, aber potenziell schwere Autoimmunerkrankung des ZNS. Durch frühzeitige Diagnosestellung – klinisch, elektrophysiologisch und serologisch/labordiagnostisch – und eine Kombination aus symptomatischer und immunmodulierender Therapie lassen sich die Beschwerden deutlich mildern. Das Beispiel Céline Dions hat SPS bekannter gemacht – doch die Krankheitslast bleibt bei vielen Betroffenen hoch. Hier helfen Leitlinien wie die der DGN und AWMF, Konsistenz in Diagnostik und Behandlung sicherzustellen.


Literaturverzeichnis

  1. Meinck H‑M et al. S1‑Leitlinie Stiff‑Man‑Syndrom. DGN/AWMF, Version 5.0, 31. 07. 2017; Stand bis 30. 07. 2022

  2. Stiff‑Person‑Syndrom. Wikipedia de. Version Juni 2025

  3. Orphanet Clinical Practice Guidelines (DE 2017) Stiff‑Person Syndrome

  4. NCBI StatPearls: Stiff person syndrome (2024)

  5. Pschyrembel Online: Stiff‑Person‑Syndrom

 


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