Atypische Parkinson-Syndrome – Die Multisystematrophie
Wenn wir an Parkinson denken, kommt vielen das klassische Bild des idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS) in den Sinn – mit Zittern, Bewegungsverlangsamung und einer guten Anfangsreaktion auf L-Dopa. Doch es gibt auch sogenannte atypische Parkinson-Syndrome, die deutlich komplexer und oft schwerer verlaufen. Eine dieser Erkrankungen ist die Multisystematrophie (MSA).
Was ist die Multisystematrophie?
Die MSA ist eine seltene, fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, bei der mehrere Systeme des Nervensystems gleichzeitig betroffen sind – daher der Name. Sie zählt zu den atypischen Parkinson-Syndromen und betrifft etwa 5 von 100.000 Menschen. Erste Symptome treten meist zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr auf.
Typisch ist die Kombination von:
Autonomer Dysfunktion (z. B. Blutdruckabfall beim Aufstehen, Harninkontinenz, Erektionsstörungen),
motorischen Symptomen, die einem Parkinson- oder Kleinhirnsyndrom ähneln,
und ein überwiegend schlechtes Ansprechen auf L-Dopa, im Gegensatz zum klassischen Parkinson.
Man unterscheidet zwei Hauptformen:
MSA-P (Parkinson-dominiert)
MSA-C (cerebellär dominiert)
Symptome und Diagnostik
Ein frühes Warnzeichen ist oft eine Störung der Blasenfunktion oder ein Stridor (pfeifendes Geräusch beim Einatmen). Viele Betroffene berichten auch über eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung – also lebhaftes Träumen mit Bewegung im Schlaf.
Weitere wichtige Anzeichen:
Gangunsicherheit, Koordinationsprobleme
Dysarthrie (verwaschene Sprache)
Skandierende Sprache bei cerebellärer Beteiligung
Myoklonischer Tremor (ruckartige Muskelzuckungen)
Zur Diagnosesicherung dienen unter anderem:
MRT (z. B. Nachweis des Hot-Cross-Bun-Zeichens)
18FDG-PET zur Darstellung des Glukose-Metabolismus
Autonome Funktionstests und Geruchstests (eine Hyposmie ist eher untypisch für MSA)
Behandlungsmöglichkeiten
Bislang gibt es keine heilende Therapie. Die Behandlung zielt auf eine möglichst gute Lebensqualität durch symptomatische Maßnahmen ab:
Medikamentös:
Levodopa (häufig ohne großen Nutzen)
Amantadin, Midodrin (gegen orthostatische Hypotonie)
Botulinumtoxin bei Dystonien oder Blasenproblemen
Melatonin / Clonazepam bei REM-Schlaf-Störungen
Sildenafil bei erektiler Dysfunktion
Nicht-medikamentös:
Physio- und Ergotherapie
Logopädie bei Sprach- und Schluckstörungen
Hilfsmittelversorgung (Rollstuhl, Pflegebett etc.)
Psychoonkologische Betreuung für Patienten und Angehörige
Ausblick und Prognose
Die MSA hat einen vergleichsweise schnellen Verlauf. Die mittlere Überlebensdauer liegt bei 6 bis 10 Jahren ab Diagnosestellung. Häufige Komplikationen sind Schluckstörungen mit Aspirationspneumonie, Stürze und zunehmender Pflegebedarf. Vielversprechende experimentelle Therapien (z. B. Immuntherapien oder Stammzellbehandlungen) werden derzeit erforscht, sind aber bisher nicht klinische Routine.
Für Betroffene: Informationen, Hilfe und Perspektive
Die Diagnose einer Multisystematrophie – ob MSA-P oder MSA-C – ist für Patient:innen und Angehörige ein schwerwiegender Einschnitt. Umso wichtiger ist Wissen, Aufklärung und Unterstützung.
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Fazit: Die Multisystematrophie ist mehr als nur eine Parkinson-Variante – sie ist ein eigenständiges Krankheitsbild mit spezifischen Herausforderungen. Frühzeitige Diagnose, individuelle Therapie und eine gute Begleitung sind entscheidend. Nutzen Sie fundiertes Wissen, um informierte Entscheidungen zu treffen – für ein möglichst selbstbestimmtes Leben mit dieser Erkrankung.
Literatur:
Jacksch C, Paschen S, Berg D. Fokus atypische Parkinsonsyndrome: Teil 1 – Multisystematrophie. DGNeurologie 2023; 6(4):339–348. DOI: 10.1007/s42451-023-00572-w